Fankultur × Nachhaltigkeit
Ein Gespräch mit Cornelius Göbel, Direktor Fans, Kultur & Markenidentität sowie Prokurist bei der HSV Fußball AG, über Nachhaltigkeitsaspekte in der Fankultur.
Anfang August 2024 haben wir eine Mitgliederumfrage zur Bedeutung des Themenfeldes Nachhaltigkeit beim HSV durchgeführt. Einleitend haben wir gefragt, wie wichtig es ist, dass der HSV sein Handeln darauf ausrichtet, einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Auf einer Skala von 0 (gar keine Bedeutung) bis 5 (sehr hohe Bedeutung) lag die durchschnittliche Bewertung bei 3,48. Wie ordnest du dieses Ergebnis ein?
Cornelius Göbel: Spätestens durch die Mitgliederversammlung im Jahr 2021 und den Antrag auf Satzungsänderung zur Nachhaltigkeit im Jahr 2023 ist das gemeinsame Bestreben des HSV und seiner Mitgliedschaft in der Satzung verankert. Es ist daher folgerichtig, unsere Nachhaltigkeitsentwicklung regelmäßig durch die Partizipation unserer Mitgliedschaft zu ergänzen. In der Umfrage ging es darum, Themen zu priorisieren und für unser Handeln eine Validierung und eine gewisse Legitimation zu erhalten. Die hohe Resonanz von insgesamt 7.814 abgeschlossenen Teilnahmen bekräftigt unser Vorhaben, auch in Zukunft eine ähnliche Methodik anzuwenden. Unser Ziel ist es, den Empfehlungen dieser Prozesse zu folgen und sie in die Organisationsentwicklung einfließen zu lassen. Dabei wird unter anderem deutlich, dass ein Schwerpunkt auf den sozialen Themen liegen soll, was für einen Verein, in dem es stark um das soziale Miteinander geht, nicht ungewöhnlich ist. Gleichzeitig spiegeln die Umfrageergebnisse jedoch auch die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wider, bei denen ökologische Themen in den Hintergrund zu geraten scheinen, obwohl sie von immenser Bedeutung für uns alle sind.
In der Mitgliederumfrage haben wir Nachhaltigkeitsaspekte in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmenspolitik betrachtet. Mit welchen Aspekten beschäftigt sich der Bereich Fans, Kultur & Markenidentität zusammen mit dem Bereich Nachhaltigkeit?
Cornelius Göbel: Hauptsächlich beschäftigen wir uns mit sozialen Aspekten wie Antidiskriminierungsarbeit und Inklusion sowie mit vereins- und gesellschaftspolitischen Aspekten wie Haltungsfragen. Derzeit rücken in der Fanarbeit auch Umweltaspekte stärker in den Fokus, zum Beispiel Fanmobilität und Abfallvermeidung. Die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Fans, Kultur & Markenidentität und Nachhaltigkeit ist dabei elementar, um die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungswerte bestmöglich für die Organisationsentwicklung zu nutzen. Durch unsere gut vernetzte Fanarbeit können wir einzelne Aspekte reflektieren und Impulse aus der Anhängerschaft in unsere Überlegungen einfließen lassen. Gleichzeitig müssen wir bestimmte verbindliche Regularien erfüllen, die unter anderem im Zuge der Lizenzierungsverfahren immer wieder abgefragt und überprüft werden.
Die HSV-Profimannschaft wird zu Hause im Volksparkstadion und bei Auswärtsspielen von Tausenden Fans unterstützt. Dieser Support ist besonders und Zeichen des starken Zusammenhaltes. Mit der Unterstützung geht allerdings auch eine hohe Fanmobilität einher. Das damit verbundene Verkehrsaufkommen führt dazu, dass im CO2-Fußabdruck der HSV Fußball AG drei Viertel der Emissionen auf Fanmobilität zurückzuführen sind. Wie gehen wir damit um?
Cornelius Göbel: Die Fanmobilität, die einen erheblichen Teil des CO2-Fußabdrucks der HSV Fußball AG ausmacht, stellt eine große umweltpolitische Herausforderung dar. Etwa drei Viertel der Emissionen werden durch den Transport unserer Fans und der Gästefans zu Heimspielen im Volksparkstadion verursacht, vor allem durch die Nutzung privater Fahrzeuge. Diese Problematik betrifft nicht nur den HSV, sondern auch viele andere Fußballvereine. Gleichzeitig haben wir insbesondere in der Pandemie deutlich gespürt, wie wichtig Fans für die Atmosphäre und die Kultur des deutschen Fußballs sind.
Wir stehen vor dem schwierigen Spagat, die richtigen Maßnahmen zu finden, ohne massiv in die oft ritualisierten Gewohnheiten unserer Anhängerschaft einzugreifen. Aus unserer Sicht geht es zunächst darum, ein gemeinsames Verständnis für das Problem zu schaffen – ein Verständnis, das auch in der Gesellschaft noch nicht vollständig existiert. Unsere Beobachtungen zeigen, dass die Bereitschaft, sich im Freizeitverhalten freiwillig einzuschränken, nur bedingt vorhanden ist.
Zur Lösung dieses Problems werden in Europa verschiedene Ansätze verfolgt. Einige Vereine fördern emissionsärmere Mobilitätsoptionen, indem sie digitale Plattformen einführen, die Fans belohnen, wenn sie umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrräder nutzen. Die ökologische Nachhaltigkeit im Fußball ist komplex und erfordert die Zusammenarbeit von Vereinen, Fans und Städten. Politischer Rückhalt ist dabei unerlässlich. Wir versuchen, durch Aufklärung, Anreize sowie den Ausbau der Infrastruktur für nachhaltige Mobilität einen Beitrag zur Verringerung unseres CO2-Fußabdrucks zu leisten, ohne die Fankultur, die für den Sport zentral ist, zu beeinträchtigen.
Für diesen Nachhaltigkeitsbericht haben wir mit Fanny Boyn und den Teilnehmenden des Rautenschnacks über Inklusion gesprochen. Welchen Stellenwert nimmt Inklusion in der Fanarbeit beim HSV ein?
Cornelius Göbel: Der HSV versteht sich als ein Verein, der für Offenheit, Vielfalt und Teilhabe steht. Inklusion ist ein zentraler Bestandteil unserer Haltung und prägt unser tägliches Handeln. Wir möchten allen Menschen, unabhängig von ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten, ihrem Alter, ihrem Geschlecht und ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer sozialen und ethnischen Herkunft, ihrer Religion und Weltanschauung sowie ihrer sexuellen Orientierung, die Möglichkeit bieten, am Stadionerlebnis teilzuhaben. Mit zahlreichen Maßnahmen wie der stetigen Verbesserung der baulichen Barrierefreiheit, dem Service der Leichten Sprache und verschiedenen Angeboten für Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen leistet der HSV einen aktiven Beitrag zur Förderung von Chancengerechtigkeit und sozialer Teilhabe. Unsere Vision ist es, eine inklusive Gemeinschaft zu schaffen, in der sich jede und jeder willkommen und respektiert fühlt.
Für diesen Nachhaltigkeitsbericht haben wir uns auch mit Dr. André Fischer getroffen und berichten über Erinnerungsarbeit beim HSV. Am 31. Januar 2024 hast du bei der Podiumsveranstaltung „Davidstern & Raute“ gesprochen. Warum ist dem HSV eine gelebte Erinnerungskultur so wichtig?
Cornelius Göbel: Wir müssen darauf achten, dass Erinnerungsarbeit kein Wohlfühlritual für die Nachkommenschaft der Tatpersonen wird, bei dem wir uns gegenseitig bestätigen, wie vorbildlich wir mit der Geschichte umgehen, dabei aber die Gegenwart aus dem Blick verlieren. Wenn wir keinen Transfer ins Hier und Jetzt schaffen, wird das Erinnern zum Selbstzweck. Der 7. Oktober 2023 in Israel war in diesem Zusammenhang eine Zäsur und für uns der Anlass, Maßnahmen gegen Antisemitismus als das Zentrum unserer Erinnerungsarbeit zu etablieren. „Nie wieder ist jetzt!“ bedeutet genau das, und die genannte Veranstaltung ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir zukunftsorientiert diese Themen miteinander verknüpfen wollen. Neben dem Gedenken am 27. Januar gibt es über das Jahr verteilt mittlerweile weitere für uns wichtige Anlässe, wie die Todestage von Ramazan Avcı und Adrian Maleika. Es liegt in unserer Verantwortung, daraus Lehren zu ziehen und zukunftsgerichtet zu handeln.
Die HSV-Anhängerschaft engagiert sich seit Jahren gesellschaftlich und setzt verschiedene Initiativen um. Welche Initiativen gab es in der Saison 2023/24?
Cornelius Göbel: Der Förderkreis Nordtribüne e.V. ruft seit Sommer 2023 gemeinsam mit dem UKE unter dem Motto „Rauten retten Leben“ regelmäßig zum Blutspenden auf. Seit dem erfolgreichen Auftakt der Blutspendeaktion ist jede zehnte Erstspende im UKE der gemeinsamen Aktion zu verdanken. Insgesamt sind 600 Blutspenden durch HSV-Fans zustande gekommen, die wiederum bis zu 1.800 geretteten Leben entsprechen.
Im Buch „Rau|te, die“ berichten 87 Frauen, darunter weibliche Fans, Spielerinnen, Mitarbeiterinnen und Ehrenamtliche, von ihrer Verbindung zum Verein und erzählen ihre ganz persönliche HSV-Geschichte. Die Protagonistinnen des Buches teilen Anekdoten, die schönsten Auswärtsspiele oder kritisieren aktuelle Gegebenheiten – mal amüsant, mal nachdenklich. Das Buch ist ein Projekt des Netzwerkes Erinnerungsarbeit und hat das Ziel, Frauen im HSV sichtbarer zu machen. Die zuständige Arbeitsgruppe bestand unter anderem aus Ehrenamtlichen des Supporters Clubs und Mitarbeiterinnen der HSV Fußball AG. Die HSV Fußball AG unterstützte das Projekt darüber hinaus finanziell.
Lass uns zum Abschluss einen Blick in die Zukunft werfen. Welchen Themen widmet ihr euch im Bereich Fans, Kultur & Markenidentität zusammen mit dem Bereich Nachhaltigkeit in der laufenden Saison 2024/25?
Cornelius Göbel: In der Saison 2024/25 haben wir ein neues Konzept für Sozialtickets eingeführt.
Sozialtickets
Die HSV Fußball AG vergibt für jedes Liga-Heimspiel durchschnittlich 100 Sozialtickets für den Hamburger Weg Block 11C. Bei besonderen Bedürfnissen werden zudem Rollstuhlplätze sowie Plätze mit audiodeskriptiver Reportage oder Gebärdensprachdolmetschung bereitgestellt.
Die Sozialtickets sind für zwei Zielgruppen vorgesehen: zum einen für minder- und volljährige Personen aus der Metropolregion Hamburg, die von Organisationen betreut oder begleitet werden, die ausschließlich gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgen, oder von der Sozialarbeit im öffentlichen Dienst unterstützt werden. Zum anderen zählen Personen dazu, die existenzsichernde Leistungen nach SGB II, SGB XII oder AsylbLG erhalten.
Neben den sozialen Themen legen wir auch großen Wert auf das bereits erwähnte Thema Fanmobilität. Wir möchten die An- und Abreise unserer Anhängerschaft emissionsärmer gestalten und arbeiten an Konzepten, um die alternative und umweltfreundlichere Mobilität stärker zu fördern. Darüber hinaus arbeiten wir an einem organisationsweiten Kinder- und Jugendschutzkonzept sowie am Ausbau des Ankerplatzes, um die Verantwortung gegenüber unserer Gemeinschaft weiter zu stärken. Die große Klammer bildet der Antrieb, weitere Möglichkeiten zur Partizipation unserer Anhängerschaft zu identifizieren und unsere Prozesse zur demokratischen Mitbestimmung auszubauen.
Vielen Dank für das Gespräch!
SDGs?
SDGs ist die Abkürzung für Sustainable Development Goals. Es handelt sich um 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, die von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden.