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Gelebte Erinnerungskultur

Gelebte
Erinnerungs-
kultur

Aktive Erinnerungsarbeit hat beim HSV eine große Bedeutung.
Denn: Nie wieder ist jetzt. Nie wieder ist immer.

Beim Erinnern geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um den Transfer ins Hier und Jetzt. Die Erinnerungskultur im HSV ist eines der zentralen Themen von Dr. André Fischer, der als Referent Soziale Verantwortung & Identität im Team Fankultur der HSV Fußball AG tätig ist.

„Die Renovierung der Erinnerungskultur ist in Deutschland ein gängiges Gegenwartsthema. Auch beim HSV hat sich unter den Mitwirkenden über die Jahre ein gewisses Unbehagen über die Vergangenheitsfixierung und Ritualisierung des Gedenkens entwickelt. Beim Fortgang dieser Entwicklung besteht die Gefahr, dass die Erinnerungsarbeit leblos wird. Die Gegenwart darf nicht aus dem Blick geraten, sondern ist essenziell für eine lebendige Erinnerungskultur“, sagt André Fischer. Im Gespräch berichtet er von dem Anspruch des HSV, in der Erinnerungsarbeit Bezüge zur Gegenwart herzustellen und Biografien erlebbar zu machen. Am Volksparkstadion gibt es deshalb seit Januar 2020 einen Gedenkort.

Der Verein beschäftigt sich seit Jahren mit den Biografien von Mitgliedern der HSV-Familie, die in der NS-Zeit verfolgt wurden. Nie wieder ist jetzt. Nie wieder ist immer.

7. Oktober 2023

Der 7. Oktober 2023 war ein Einschnitt. Das Massaker in Israel war die größte antisemitische Vernichtungsaktion seit dem Holocaust. 1.205 israelische Zivilistinnen und Zivilisten heute, 6.000.000 ermordete Jüdinnen und Juden damals. Um die Monstrosität begreifbar zu machen, müssen die Einzelfälle betrachtet werden. Hinter jeder Zahl steht eine Biografie, eine ganze Lebenswelt.

Die einschneidenden Ereignisse in Israel nahm der HSV zum Anlass, das Engagement gegen Antisemitismus in den Mittelpunkt seiner Erinnerungsarbeit zu stellen.

Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

2017 hat die Bundesregierung die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) mit einer Erweiterung verabschiedet. Die HSV Fußball AG hat die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen. Sie dient als Arbeitsgrundlage, um auf dieser Basis jüdische und nichtjüdische Anhängerinnen und Anhänger zu informieren und so bestenfalls vor antisemitischen Einflüssen, Übergriffen etc. zu schützen.

27. Januar 2024

Rund um den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2024 führte der HSV verschiedene Aktionen durch, an denen die Anhängerschaft des Vereins partizipieren konnte:

An der Gedenktafel am Volksparkstadion, die an die Opfer der NS-Zeit erinnert, wurden Kränze und Gestecke niedergelegt. Am 28. Januar 2024 trugen HSV-Mitarbeitende vor Anpfiff des Heimspiels gegen den Karlsruher SC ein Banner mit der Aufschrift „Gemeinsam gegen das Vergessen“ auf das Feld und versammelten sich mit den Spielern beider Mannschaften dahinter. Das Netzwerk Erinnerungsarbeit (Netz E) organisierte thematische Stadtteilrundgänge durch Hamburg, bei denen die rund 50 Teilnehmenden sich mit der Geschichte der NS-Opfer aus der HSV-Familie beschäftigten und Stolpersteine putzten.

Foto: Witters

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Netzwerk Erinnerungsarbeit (Netz E)

Das Netz E besteht seit Frühjahr 2016 und ist ein Zusammenschluss aus Fans und Mitarbeitenden des Vereins. Das Netzwerk betreibt bildungspolitische Erinnerungsarbeit mit einem Schwerpunkt auf der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Es thematisiert und bekämpft aber auch diskriminierende Haltungen und Praktiken in der Fanszene. Das Engagement des Netz E begann mit der Durchführung eines Workshops zum Thema „HSV im Nationalsozialismus“. Mittlerweile hat sich der Wirkungskreis vom Netz E vergrößert. Das Netzwerk organisiert Veranstaltungen, betreibt einen Podcast und setzte sich unter anderem für die Errichtung der Gedenktafel am Volksparkstadion sowie für eine Ergänzung der Stadionordnung und der Vereinssatzung ein. Nicht nur die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, sondern auch mit anderen gesellschaftlich relevanten Themen, zum Beispiel dem Umgang mit sexualisierter Gewalt, hat für das Netz E Relevanz. Für diese vielfältige Arbeit wurde die Initiative im Herbst 2022 vom DFB mit dem Julius Hirsch Preis ausgezeichnet.

Am 31. Januar 2024 fand im Miralles Saal in Hamburg-Rotherbaum die Podiumsveranstaltung „Davidstern & Raute“ statt. Diskutiert wurde über verschiedene Abschnitte in der HSV-Historie zum Thema „Antisemitismus von damals bis heute“. Am Folgetag fand eine hybride Veranstaltung im Haus des Sports statt, bei der Ayelet Epstein und der Journalist Dr. Ofer Waldman aus Israel zu Gast waren. Ayelet Epstein verlor am 7. Oktober 2023 ihren Sohn Netta und weitere Angehörige. Sie selbst überlebte den Angriff auf ihren Kibbuz Kfar Aza wie durch ein Wunder. Einige Freundinnen und Freunde befinden sich noch immer in Geiselhaft.

Delegationsreise nach Israel

Im Mai 2024, wenige Monate nach den Veranstaltungen in Hamburg, reiste André Fischer als Teil einer DFL-Delegation für eine Woche nach Israel. Auf dem Programm stand unter anderem die Teilnahme an Yom HaShoah, dem zentralen Gedenktag in Yad Vashem für die 6.000.000 im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden. Der World Jewish Congress (WJC) und Überlebende ermöglichten der Delegation, drei der angegriffenen Kibbuzim – Kfar Aza, Be’eri, Nir Oz – und das Nova-Festivalgelände zu besuchen. Darüber hinaus war die Delegation im Hostages and Missing Families Center zu Gast, um mit Angehörigen der Geiseln zu sprechen.

Foto: Shahar Azran (WJC)

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Egal, mit wem die Delegation in diesen Tagen sprach vom 99-jährigen Holocaustüberlebenden über die Überlebenden aus den Kibbuzim bis hin zu den Angehörigen der Geiseln –, der Wunsch lautete immer gleich: „Helft uns, darüber zu reden, was hier passiert ist.“ In Zeiten gezielter Desinformation und Verschwörungserzählungen erscheint es immer wichtiger, Strategien für Gegennarrative zu entwickeln, um dem weltweit grassierenden Antisemitismus die Stirn zu bieten.

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Transfer ins Hier und Jetzt

Die Veranstaltungen rund um den 27. Januar 2024 und danach sind ein Beispiel dafür, wie sich eine zukunftsorientierte Erinnerungskultur im HSV entwickeln kann. Das geht nur mit starken Partnerinnen und Partnern. Dazu zählen neben dem Netz E unter anderem auch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Stiftung Bornplatzsynagoge.

Seit 2019 enthält die Stadionordnung für das Volksparkstadion einen Antidiskriminierungsparagrafen, der auf Initiative des Netz E aufgenommen wurde.

§ 3 Antidiskriminierung

Im Geltungsbereich der Stadionordnung nach § 1 sind jegliche Formen von Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Antiziganismus sowie alle weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verboten.

Im Sinne dieses Antidiskriminierungsparagrafen wurde zur Rückrunde der Saison 2019/20 der Ankerplatz geschaffen. Das ist eine Anlauf- und Schutzstelle für Betroffene diskriminierender und sexualisierter Gewalt bei Heimspielen im Volksparkstadion. Zudem fungiert der Ankerplatz als Anlaufstelle für Menschen mit beispielsweise Angststörungen und Epilepsie.

Kontakt zum Ankerplatz

Der Ankerplatz befindet sich im Umlauf hinter Block 22/23A. Fans, die Hilfe und/oder Rat suchen, können sich ab Stadionöffnung bis eine Stunde nach Abpfiff vor Ort oder telefonisch unter +49 40 4155-2222 melden. Außerhalb der Spieltage ist die Kontaktaufnahme zusätzlich per E-Mail an ankerplatz@hsv.de möglich.

SDGs?

SDGs ist die Abkürzung für Sustainable Development Goals. Es handelt sich um 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, die von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden.

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