Die Reste vom Feste
Bei den Heimspielen im Volksparkstadion bleibt an den Essensständen im Public-Bereich häufig etwas übrig. Um Brötchen, Brezeln und Co. bestmöglich zu nutzen, arbeitet der HSV mit den Lebensmittelrettenden vom Foodsharing e.V. zusammen. Und das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem noch besseren Umgang mit Lebensmitteln im Stadion.
Das Spiel ist aus. Die letzten Fans gehen durch die Tore des Volksparkstadions in den sonnigen Sonntagabend. Das Heimspiel des HSV ist seit zwei Stunden abgepfiffen, die Spieler sind geduscht und die Pressekonferenz ist abgehalten. Der blaue Mannschaftsbus mit dem KSC-Wappen ist gerade vom Vorplatz gefahren, da kommen einige angemeldete Privatpersonen mit ihren Fahrzeugen zum großen Tor der Warenannahme. Die Menschen haben eine Mission: einen Teil der Lebensmittel, die die Fans im Volkspark heute nicht gegessen haben, vor der Tonne zu retten.
Foodsharer Torsten Münkel beim Einladen der Backwaren
Die Zuschauenden gehen, die Lebensmittelrettenden kommen
Bei einem Heimspiel des HSV kommen oft 57.000 Zuschauende. Die essen eine Menge – wie viel genau, das ist nicht so leicht planbar. Weil die hungrigen Fans bis in die Nachspielzeit gestärkt werden wollen, bleibt an den festen und mobilen Verpflegungsständen im Public-Bereich häufig etwas übrig. Und das steht jetzt hier im Nordosten des Stadions, in roten gastronomischen Boxen gestapelt. Bisher hatte der Caterer im Volksparkstadion, die Aramark Restaurations GmbH, die Überbleibsel zu Tierfutter weiterverarbeiten lassen. Seit Frühjahr 2025 stellt Aramark sie nun dem HSV und der Initiative Foodsharing zur Verfügung.
Foodsharing, das ist ein Netzwerk von Menschen, die Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten und sie anderen zur Verfügung stellen. So wie Torsten Münkel. Der hat den Kofferraum seines grünen Autos bis oben hin mit Tüten voller Brötchen und großer Laugenbrezeln bepackt. Münkel ist einer der Menschen, die über ihr Netzwerk Essen an Privatpersonen, aber auch soziale Organisationen wie einen Tagestreff für Menschen ohne eigene Wohnung weitergeben oder sie in sogenannten Fairteilern platzieren. Das ist eine Art offene Speisekammer, wo man Essen entnehmen oder reinstellen kann. „Ich mache das mit Leidenschaft – man kann beim Essenretten viel Gutes tun“, sagt Münkel.
Felix Lösche (Team Nachhaltigkeit) ist zufrieden mit der Lebensmittelrettung
Foodsharing-Koordinatorin Michaela Bock im Gespräch
Begrüßung des Foodsharing-Teams
Das Retten von Lebensmitteln hilft Menschen – und schont wertvolle Ressourcen
Lebensmittelrettung ist ein Thema, das immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt. „Das ist Nachhaltigkeit auf so vielen Ebenen“, sagt Felix Lösche vom Team Nachhaltigkeit beim HSV. Weil weniger Lebensmittel im Müll landen, werden Ressourcen wie Wasser, Energie und landwirtschaftliche Fläche geschont. Zudem kann man die Produkte in ihrer ursprünglichen Form nutzen – es braucht also keine zusätzliche Energie für eine Weiterverarbeitung. Und gleichzeitig kommt es oft Menschen zugute, die sich in herausfordernden Situationen befinden. Lösche hat die Lebensmittelrettung im Volksparkstadion mit seinen Kolleginnen und Kollegen angestoßen. „Nach einem Pilotversuch im Dezember 2024 war uns schnell klar: Wir wollen auf bestehende Strukturen setzen und bereits vorhandene Netzwerke nutzen, um die größtmögliche Wirkung zu entfalten“, sagt er. Der HSV ist Partner der Initiative „aufgefangen“, bei der Hamburger Betriebe, Organisationen und Institutionen sowie die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz zusammen Lebensmittelverluste reduzieren und Lebensmittel bestmöglich nutzen wollen.
„Keine Sorge, das ist morgen alles verteilt“
Michaela Bock koordiniert die Arbeit der Hamburger Ortsgruppe von Foodsharing. „Ich hasse es, wenn Essen weggeworfen wird“, sagt die Frau im HSV-Fanshirt. Sie war heute als ehrenamtliche HSV-Helferin im Stadion, jetzt nimmt sie auf dem Rückweg Lebensmittel mit – ohne zusätzliche Emissionen zu verursachen. „Das ist beste Qualität, das kann man noch wunderbar essen“, sagt sie und zeigt auf einen der vielen Säcke voller Brötchen. Wer das alles essen soll? „Keine Sorge, das ist morgen alles verteilt“, sagt sie und lacht. Ein paar Nachrichten – und ihr Netzwerk weiß Bescheid. Dann weiß sie, welche Hilfsorganisation im Viertel, wer aus der Nachbarschaft etwas braucht. Michaela Bock engagiert sich schon seit einigen Jahren beim Foodsharing e.V. Was ihr am meisten Spaß macht? „Wenn wir gar nichts abholen können!“, sagt sie.
Backwaren werden für den Transport vorbereitet
Backwaren stehen vor der Warenannahme bereit
Backwaren als wichtiger Schritt zu weniger Lebensmittelabfällen
Das Thema Lebensmittelrettung ist relevant für den HSV. „Wir haben noch Arbeit vor uns“, sagt Felix Lösche. Noch stehen nämlich einige grüne Mülltonnen neben dem großen Tor der Warenannahme. Ein Dienstleister holt in diesen Tonnen die restlichen nicht gegessenen Lebensmittel vom Spieltag ab – darunter Würstchen, die auf dem Grill liegen geblieben sind, und die Reste vom Buffet im VIP-Bereich. Die eingesammelten Lebensmittel- und Speisereste werden beim Dienstleister aktuell aufbereitet und anschließend zu Ökostrom, umweltfreundlicher Wärme, Biomethan, organischem Dünger und Biodiesel weiterverarbeitet. „Wir versuchen weiterhin an Lösungen zu arbeiten, wie weitere Speisen gerettet werden können, um noch mehr Menschen zu unterstützen“, sagt Felix Lösche.
Für das Team von Foodsharing und den HSV geht es nicht nur darum, überschüssige Lebensmittel bestmöglich zu nutzen. „Wir können wertvolle Hinweise geben, wenn etwa regelmäßig deutlich zu viel Essen übrig bleibt“, sagt Michaela Bock. Darauf setzt auch der HSV und arbeitet gemeinsam mit dem Caterer daran, den Wareneinsatz noch gezielter zu planen, um Speiseabfälle zu verringern. „Wir werden Lebensmittelabfälle nicht gänzlich verhindern können“, sagt Felix Lösche mit Blick auf nicht verkaufte Lebensmittel an Spieltagen. „Aber wir wollen reduzieren, was möglich ist, und auch hier unserer Verantwortung gerecht werden.“
Am Sonntagabend wartet das Foodsharing-Team noch ein paar Minuten vor der Warenannahme. Dann kommt die Info aus dem Bauch des Stadions: Das war’s, alle Verpflegungsstände sind leer. Michaela Bock, Torsten Münkel und die anderen Lebensmittelrettenden machen sich auf den Weg und bringen die Backwaren unter die Leute. Sie alle eint die Leidenschaft, gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln anzukämpfen. Und das ist nicht immer leicht. Das nächste Heimspiel ist nicht vor 22.30 Uhr zu Ende – die Reste vom Feste sind also nicht vor Mitternacht abholbereit. „Kein Problem“, sagt Michaela Bock und zeigt die Foodsharing-App: Sieben Rettende haben sich trotz der Uhrzeit schon angemeldet.
SDGs?
SDGs ist die Abkürzung für Sustainable Development Goals. Es handelt sich um 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, die von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden.